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Spirting

Herzogstand

Trainingsplan? Fettverbrennungskurbel? Low Carb? Freeletics? Leistungsdiagnostik?

Oh no, Baby, no!

Dies hier wird ein Plädoyer. Ein Plädoyer für die Rückkehr der Sinnlichkeit in den Sport. Für die Leichtfüßigkeit am unteren Ende einer laktatschwangeren Wade. Für die Biegsamkeit des Herzens jenseits von anaerober und aerober Schwelle. Für die Wiederentdeckung der Lippenbekenntnisse über das Nuckeln an Radflaschen und Camel-Bag-Trinkhalmen hinaus.

Ich plädiere für die offizielle Einführung einer süßen Seitendisziplin des Sports. Diese Disziplin will ich „Spirting“ nennen.

Auf diese Benennung brachten mich nun ausgerechnet die sportfernen Raucher: Seit diese nämlich der Tür verwiesen werden, um ihrer Sucht zu frönen, ist da draußen ein Geflirte im Gange, dass einem die Lust am Nichtrauchen vergehen will. Vor den Bürogebäuden, den Kneipentüren, den Bahnhöfen, unter Gottes freier Sonne: unter anderen Vertriebenen findet man seinesgleichen, gleich und gleich gesellen sich beim Schwaden-Schwafel – und kommen sich so beachtlich näher: Augenaufschlag gegen Feuer, Feuer gegen ein Lächeln, ein Lächeln gegen einen Lighter. Leichter geht es kaum, in Kontakt zu kommen. „Smirting“ nennt man das, zusammengesetzt aus „smoke“ für „rauchen“ und „flirting“ für „süße Sachen zu einer anderen Person sagen und es so meinen oder auch nicht“.

Piff, paff!

Was die Raucher können, können wir Sportler doch schon lange!

Geht auch ganz einfach, versprochen!

Hier ein paar Tipps für Untrainierte:

  • beim nächsten Waldlauf der Entgegenkommenden ruhig mal zuzwinkern.
  • im Schwimmtraining die Schwimmerin auf der benachbarten Bahn nach ihrer „super Technik“ befragen.
  • beim Radfahren ruhig mal wieder eine Radpanne vortäuschen.
  • zusammen Kayak fahren.
  • gelegentlich die Yogamatte für den Fitnesskurs vergessen – und dann vielleicht mit einem attraktiven Rumpfstabilisator den Übungsschaumstoff teilen.
  • beim Laufschuh-Kauf andere Kunden zu ihren Tretern befragen.
  • im Fitness-Studio Hilfe beim Einstellen der Geräte erlächeln.
  • am Strand das Windsurf Kit gemeinsam schleppen.

Wenn Euch dann ein/e ehemals Fremde/r plötzlich Blumen (oder einen Protein-Riegel) schenkt, könnte das an Eurem Deo, Eurer anziehenden Schweißzusammensetzung oder an erfolgreichem Spirting liegen.

Der Frühling naht. Ich plädiere für mehr Nebendisziplin neben all der Disziplin. Und schon macht das Herzfrequenzmessgerät amouröse Hopser. Von den triebsamen Turbulenzen durch Hormonausschüttung ganz zu schweigen!

Dies ist mein Plädoyer: Geht raus, macht Sport und flirtet: spirtet!

spirting

 

 

Laufsport · Sport-Flirt · Sportmode · Triathlon

„Komm, press mich!“

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Als ich sie das erste Mal in der sportlichen Öffentlichkeit sah, kamen mir Worte wie „stramm“, „griffig“, „züchtig“ in den Sinn. Aber auch „jungfräulich“, „hausbacken“ und – „krankenschwesterlich“. Weiß wie Schnee, schmiegten sie sich an den Athleten, blütenweiß strahlend umgarnten sie seine Schenkel, um ihn vorwärts zu tragen im flotten Schritt. Seine Blutzirkulation zu befördern, waren sie da, aus einem besonderen Garn gewebt, ihn in Training und Wettkampf und um seine Regeneration zu beschleunigen. Mal trug er sie mit Stolz, mal ertrug er sie mit Stöhnen;  sie richtig zu befingern, bedurfte äußerster Sorgfalt.

Als ich sie das erste Mal auf der Laufstrecke sah, wurde mir klar, dass aus ihnen, die lange ein stiefmütterliches Dasein gefristet und lange verschämt im Verborgenen geblieben, eine Wunderwaffe geworden war. Durch „neueste wissenschaftliche Erkenntnisse“, prominente Vorbilder und geschicktes Marketing.

Einst:
Stützstrümpfe (angewendet nach OPs, auf Fernflügen, im Alter).
Nun:
Kompressionssocken (eingesetzt im Training, Wettkampf und danach).

Bewährtes Prinzip. Neues Image.

Erst lief nur Paula Radcliffe allein auf weiter Flur mit ihren Socks – und musste in Interviews ausdauernd Rede und Antwort stehen, warum und wofür. Dann begannen prominente Akteure im Triathlon-Zirkus den Thrombosestrumpf salonfähig zu machen; die Amateure legten schnell nach: schlanke Waden, dicke, runde oder speckige schmückten sich fortan unschuldsweiß und weise mit Press-Garn.

Als ich sie das erste Mal auf der Laufstrecke anzog, tat ich dies in einem Land des Sports, dessen Geschmackspolizei bekanntlich alles verzeiht. Auf dem Hinflug der Stützstrumpf aus dem Sanitätshaus. Beim Laufen im Central Park die Kompressionssocke aus dem Sportfachhandel. Ich fühlte mich beschleunigt und stabil im Training – wenngleich ernüchtert, als ich beim Blick im Spiegel sah, dass sich überflüssiger Speck, der nicht mehr recht in die Socke passte, Richtung Knie presste und aus dem Bund gequetscht wurde. Seitdem trage ich auch die Socke zur Kompression nurmehr als Strumpf zum Stützen – UNTER dem Beinkleid.
Nicht so jedoch meine Trainings-Kollegen. Sie können von Kompression gar nicht genug kriegen, stürzen sich auf die strammen Stützen und belassen es schon lange nicht mehr nur bei der Bekrankenschwesterung der Waden: Alles, was Fleisch und Muskel ist am Athletenkörper wird gepresst, in Form gebracht, durchblutet und rege regeneriert. Kompressionssocke, Kompressions-Shirt, Kompressions-Hose. Nie waren Beziehungen zwischen Mensch und Textil inniger, enger, aufrechter.

 

Als ich es zum ersten Mal von ihm hörte, wollte ich es nicht glauben. „Angenehm“, „kühlend“, „anschmiegsam“, „erholsam“ sei das, so seine Worte. Was er und wie er es beschwor, klang in meiner Vorstellung nach: „ewig jungfräulich“, „einengend“ und – „triebtötend“– ja, auch das. Was er und wie er es belobigte, wollte ich mir nicht vorstellen: Seit geraumer Zeit trage er keinen Pyjama mehr. Er sei vielmehr nun auch des Nachts von Kopf bis Fuß auf Kompression eingestellt. Das befördere den Stoffwechsel und verdichte seine Träume – und außerdem, feixte er, wolle ihm so schnell niemand mehr an die Wäsche…

Stützstrumpf – Kompressionssocke – Ganzkörperpressung.

Vom Stiefmütterchen zur Wunderwaffe zum libidinösen Super-GAU?

So schließt sich der Kreis.
Gut zirkulieren tut das Blut im Lauf und flüstert leis: „Komm, press mich.“

 

[leicht veränderte Version meines Textes, der in der Aug-Sept-Ausgabe 2009 des Triathlon-Training-Magazins erschien.]

Sport-Flirt · Tennis

Das Gelbe ist die Ball

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Manche guten Dinge gehen, damit sie irgendwann wiederkommen können. Vokuhila-Haarschnitte gehören nicht unbedingt dazu, Karottenjeans auch nicht. Aber, um bei den achtziger Jahren zu bleiben: der Tennissport. Wenn ich zu meinem Haus- und Hof-Park jogge, laufe ich immer am Tennisclub Grün-Weiss Luitpoldpark vorbei und schwelge in Erinnerungen an meine ersten Versuche auf dem Platz mit Christian oder David oder Michael oder … Sie spielten super, ich noch hölzern, aber das war egal. Im Rückblick war mir damals schon klar, dass Sport und Liebelei nicht selten ein gutes Match ergeben. Wir waren in der Sexta damals. Lang, lang ist’s her. …

In meiner aktuellen Heimatstadt München hat sich jetzt aus Nostalgie mit zeitgenössischem Anstrich der White Club gegründet; eine ziemlich coole Sache, ein Tennis-Club für den Tennisballdynamo in Dir, weniger für den Club-Schnösel, über den aktuell nicht nur die regionalen Medien berichten. So viel gegenwärtiges Tennisspiel gab Anlass für Erinnerungen an meine frühen Ambitionen, Tennis-Profi zu werden. Die Geschichte wollt’s, die Geschichte schrieb sich dann anders. Aber lest selbst.

Das Gelbe ist die BallTennisball

Es war einer dieser verregneten Sonntage in den Achtzigern, an denen die Familie nichts Besseres zu tun hatte, als gemütlich auf dem Sofa zu hocken und fernzusehen. Wobei fernsehen die Sache nicht ganz trifft: wir litten wie in Käfighaltung, weil Steffi Graf gerade im Begriff war, ihr entscheidendes Match zu verlieren. All das Fiebern half nichts: Sie verlor. Unsere Steffi musste am Ende einer Gegnerin die Hand reichen, die mein Idol in den Wahnsinn gestöhnt hatte.

Noch schlimmer jedoch als Steffis Schmach waren die traurigen Augen meines Vaters. Er hätte ihr den Sieg so gegönnt …

Ich reagierte instinktiv und ohne Umschweife mit dem Ziel, diesen Fauxpas an der Weltspitze zu rächen und den deutschen Tennissport zu retten: „Papa, ich will Trainerstunden“. Was staunte er – und genehmigte! All die Trauer um Steffis Blamage war erstmal im Aus.

Schon ein paar Tage später bewegte ich mich in Richtung Tennishalle, ausgerüstet mit einem textilen Potpourri aus Steffi Graf-Tennistasche und Ivan Lendl Polo-Shirt, blaues Röckchen, Hallenschuh und den Pferdeschwanz dazu. Ich sah schon wie ein Profi aus und war entschlossen, es der Welt zu zeigen. Vom pubertierenden Nichts zur flinken Ball-Fee, die sich in die Herzen der Couch-Potatoes spielen würde! …

„Ciao, Bella“, mein Trainer war schon da und breitete ein Arsenal von Schlägern auf dem Boden aus. Wir stellten einander vor:

„Ich heiße Giovanni, hast schon mal gespielt?“

„Nee, nur Federball.“

„Allora, dann mal los“.

Federleicht waren die Bälle nicht gerade, und es machte immer so laut „plopp“, wenn der Ball die Saiten traf. Und warum spielte Giovanni die Bälle unberechenbar mal hierhin, mal dorthin? Sollte das eine Hetzjagd werden? Hatte der kein Augenmaß? Und die Linien des Platzes waren, so war ich mir sicher, falsch eingezeichnet: zu lang, die Dimensionen stimmten nicht. Aber meine Koordinationen: Die Vorhand spielte ich mit links, für die Rückhand brauchte ich zwei Hände, ich bekam alle Bälle, die ins Aus flogen. Und mit dem Aufschlag irritierte ich den Gegner: Ball ins Netz, Ball nach links, Ball nach hinten, Schlag für Schlag, Stunde für Stunde. Plopp für Plopp. Ich machte es meinem Trainer unmöglich, den Ball zu kriegen – und meinem Schläger auch …

Eines Tages suchte Giovanni nach der Stunde das Gespräch: „Wir müssen reden, Amica –.“

Ein Blick. Ein Augen-Aufschlag.

„Signorina, deine Augen sind so grün wie das Netz“.

Ich wurde rot wie der Platz.

„In Tennis …, schau mich an!“

Sein Haar war schwarz wie die Nacht –

„In Tennis, es gibt Regel, bella Donna …“

– und seine Augen wie Tollkirschen !

„In Tennis, Signorina, in Tennis das Gelbe ist die Ball.“

Was soll ich sagen: In der Folge stellte Giovanni immer häufiger die Ballmaschine an und überließ mich meinem Ehrgeiz.

Steffi Graf gewann wieder. Meine Mission hatte sich erledigt. Ivan Lendl stieg aus. Aus dem Röckchen wuchs ich raus. Ein Jahr später bekam ich eine Brille. Ich sah mehr, als ich je zuvor gesehen hatte.

Nur Giovanni sah ich nicht mehr.

Ich hörte nur, sein Haar sei jetzt grau.

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Sport-Flirt

Der Lauf-Typ

sportpoetin mainuferIch bin eine Frau. Ich bin leichtgewichtig. Ich knicke mit dem Fuß beim Abrollen leicht nach innen. Ich habe Senkfüße: rechts stärker, links weniger stark ausgeprägt. Das sehe ich am Fußabdruck auf den Fliesen, wenn ich aus der Badewanne steige. Ich laufe gern ein höheres Tempo, bin aber auch ein ausdauernder Typ. Im vergangenen Sommer hatte ich ein Techtelmechtel mit einem süßen Supinierer. Seine Schuhe waren immer an der Außenkante abgelaufen, seine durchtrainierten Beine leicht o-förmig. Supinierer, aber ein super Typ.

Ich bin Läuferin. Und ich bin Lauftyp-Checkerin. Mein liebstes Lauf- und Check-Gebiet ist das Mainufer. Am Mainufer findest du sie alle.

Erst neulich war ich mit meiner Freundin dort zum Laufen verabredet; wir checken beide. Sie steht mehr auf Offroad, ich mehr auf Asphalt. „Hast du den ausdauernden Typen eben bemerkt?“, flüsterte sie mir leise zu, „ganz klar einer mit Faible für Grundlagen. Und – seltenes Exemplar: ein Normalfußläufer!“ Ich drehte mich rasch zu ihm um, denn wir hatten ihn längst überholt. „Ausdauer, ja, aber diese Stützstrümpfe, ich weiß ja nicht.“ „Kompressionssocken“, korrigierte sie mich. Aber das machte für mich keinen Unterschied.

Ein Überpronierer kam uns entgegen, leicht übergewichtig, breiter Ballen. Ein Westenträger. Sicher ein Gelegenheitsläufer. Ein effizienter leichter Läufer schnellte an ihm vorbei, Vorfußlauf, steife Miene, einer, der weiß, wo’s lang geht. Ein leichter Windhauch ließ die Weste rascheln, kaum hörbar durch den keuchenden Atem des Trägers.

Beschwingt erhöhten wir das Tempo ein wenig, in der Ferne heulte ein Zug. „Weißt du“, setzte meine Freundin an, „am liebsten wäre mir ja ein mittelgewichtiger Läufer mit normalem Abrollverhalten, ein Mittelfußaufsetzer mit ’ner Extra-Portion Stabilität – so wie der da drüben.“ Dass der Kerl bei 12 Grad Thermo-Tights und Fleece-Pulli trug, schien ihr nichts auszumachen.

„Also für mich käme eher ein Mix aus Stabilität und Dynamik in Frage. Gern ein Schmalfuß, aber dynamisch im Abrollvorgang sollte er schon sein“, gab ich meine Wünsche zum Besten.

Die Trainingseinheit war zu Ende, wie immer genehmigten wir uns im Café am Main noch einen kleinen Apfelwein.

Ein junger Kerl mit flachem Fußgewölbe bediente uns. Am Nachbartisch der Westentyp und – sieh an – ein effizienter Läufer mit ausgewogenem Gewichtsverhältnis. Die beiden blickten zu uns rüber.

Man begann ein Gespräch über die Schönheiten des Freiluftlaufs, die Vereinbarkeit von Schlendrian mit ambitioniertem Laufverhalten und das richtige Schuhwerk.

Hin ging die Zeit. Die Dunkelheit hatte den Tag eingeholt wie ein schneller Läufer einen Walker. Die Körper ausgekühlt, doch umso erhitzter die Herzen.

Meine Freundin war längst nach Hause gelaufen, der Westen-Kerl ins Auto gestiegen.

„Ich mag Deine Senkfüße, besonders den rechten“, flüsterte der Typ. „Verrätst du mir deine Nummer?“

„Achtunddreißig“, hauchte ich zurück. Dann musste er gehen.

Ich lief nach Haus.

Angerufen hat er nie.

Sport-Flirt

Kettenblättermassaker

Chakra

Machen wir uns nichts vor: Ein Bar-Flirt ist kein Kinderspiel. Sport ist da ein guter Start.

Aber auch wenn Sport ein verbindendes Thema sein kann – ein Rad ist kein Chakra ist kein Kettenblatt ist kein Flirtobjekt.

Da muss schon mehr stimmen, sonst fährt Eine davon – und der Andere geht in sich.

Ein Traum von einem Typen! Mehr Erle als Eiche, aber was sollte es. Körperlich ansprechend, verschmitzt, smart und – sportlich. Was wollte sie denn mehr?

Wie eine Schaufensterpuppe! neugierige Augen, ein reizendes Lachen. Ein wenig verschwiegen, aber was machte das schon. Eine zum Ausführen. Was wollte er denn Anderes?

Sie redeten und sprachen, diskutierten und schnatterten den ganzen Abend lang. Tranken Wein und Weizen und tauschten Urlaubserlebnisse aus. Sie erzählte von ihrem zweiwöchigen Wellness-Trip nach Indien: Yoga und Ölungen bis zur Erleuchtung, dazu volle Heißwasser-Diät, und das alles für nur 5000 Euro!

Er berichtete von seinem Radler-Urlaub auf Malle, zwei Wochen, zweitausend Kilometer, ein halber Ruhetag, an dem er und seine Freunde nur mädchenhafte hundert Kilometer gekurbelt waren. Abends Nudeln und Kuchen bis zum Bauchschmerz.

Mit „Oh“ und „Ah“, und „Nein, dass du das aushältst!!“, bekräftigten sie äußerlich ihre gegenseitige Bewunderung, um innerlich den Kopf zu schütteln über so viel unverständlichen Wahnsinn. Hoben die Gläser „auf uns“ und „auf den Sport“, „ja, auf den Sport“, erörterten gewissenhaft die Gemeinsamkeit vom Zirkulieren von Fahrradreifen und dem Kreisen von Körper-Chakren – und erörterten und tranken, besprachen und schmitzten weiter.

Bis zum Vollmond.

Bis zur Sperrstunde.

„Kommste noch mit zu mir, auf einen Kaffee? Ach, was red ich: auf einen Tee?“ sprach er und lachte.

Sie nickte: „Gern doch“.

Sie verstanden sich.

Er musste gleich ins Bad, als sie seine Wohnung betraten, und ließ sie allein im Wohnraum stehen. Sie solle sich „doch einfach wie zu Hause“ fühlen.

Sie blickte sich um und merkte, dass ihr dies schwer fallen würde: Sechs Rennräder standen, aufgebahrt auf goldglitzernden Fahrradständern, mitten im Zimmer. An den Decken hingen Urkunden, Wimpel, Rennhelme, Laufräder in allen Materialien und Farben. Was sie als Weihnachtsbaumruine in der Ecke wähnte, entpuppte sich beim Herantreten als eine Ansammlung ausgedienter Fahrradschläuche, die, säuberlich aufgetürmt, einen Zylinder formten. Eine Standluftpumpe war zum Herrendiener umfunktioniert worden, an ihren Griffen hingen Bike-Pants mit Ledereinsatz zum Trocknen. Die Tapete an der Südwand war nichts anderes als eine zerknitterte Landkarte, mit eingezeichneten Radrouten verschiedener Schwierigkeitsstufen. Mit Stecknadeln festgepinnt markierten Polaroid-Fotos offenkundige Höhepunkte jener Tour. Sie zeigten IHN, in einem verschwitzten Trikot, für einen Augenblick das Glück in seinem Gesicht wohnhaft, umzingelt von anderen Typen, die genauso aussahen, (vielleicht ein bisserl weniger gut).

„Alles Gute und weiterhin flotte Fahrt. Dein Ulle“: Eine Autogrammkarte von Jan Ullrich, eingerahmt in einem gelben Plastikrahmen, stand auf dem Fernseher mit Panorama-Bildschirm. Auf dem Tisch davor eine vertrocknete Blume in einer Fahrradflasche …

Sie trat ans Fenster, in die Nacht zu sehen und ihre gehetzten Augen auf dem Mond ruhen zu lassen.

Beim Versuch, sich auf der Fensterbank abzustützen, stach sie sich die Handfläche an einem spitzen Gegenstand blutig und ließ einen kurzen (aber ziemlich süß klingenden) Schrei los.

„Das sind Kettenblätter – ich sammele sie; das älteste ist schon an die sechzig Jahre alt“, – Er war aus dem Bad gekommen und lehnte nun lässig im Türrahmen.

Sie blickte ihn an: „Es dreht sich mir irgendwie alles“.

Er grinste: „Na, das ist doch wunderbar, dann sind ja alle Chakren aktiviert, oder?“, machte muskulös hölzern auf seinem Absatz kehrt und eilte lachend in die Küche,

– derweil sie auf einem der Fahrräder Platz nahm und zu kurbeln begann.

Sie fuhr und fuhr, radelte um ihr Leben, auch wenn der glitzernde Ständer ihren Antrieb bremste. Vor ihren Augen drehten sich schwitzende Kettenblätter wie Schräubchen und Muttern einer Mechanik, formten sich zu Rotationsscheiben alter Eisenbahnen.

Alles bewegte sich. Sie bewegte sich. Sie war zum Motor mutiert.

Er betrat das Zimmer wieder, zwei Bierflaschen in der Hand:

„Willste ‘n Radler?“ rief er hinüber.

Aber da war sie schon ganz weit weg gefahren.

Er aber nahm seine Fahrrad-Karten, setzte sich in den Lotussitz und legte eine Patience.